Sehr viele Menschen leben im Wohlstand, besonders in den industriellen Ländern.
Gemeint ist ein Wohlstand beispielsweise im Sinne einer Wohnung mit fließendem Wasser, Heizung, Strom, einem Leben mit Nahrung, Mobilität und einer Infrastuktur mit Müllabfuhr, Gesundheitsversorgung, Bildungseinrichtungen, Handwerkern, Geschäften für verschiedene Bedarfe usw. Einige haben mehr davon, andere weniger.
Die damit verbundenen Sozialisationen sind unterschiedlich. Manche wuschen sich als Kinder noch am Handstein in der Küche mit kaltem Wasser, andere können sich eine morgendliche Reinigung ohne eine warme Dusche gar nicht vorstellen. Damit verbunden gibt es ein gewisses Niveau an Konsum, das als „normal“ angesehen wird.
Lt. Frank Trentmann, Konsum-Forscher an der University of London und am Centre for Consumer Society Research, Helsinki, ist es eine Sache der Gewohnheit, bestimmte Dinge zu konsumieren.
So, wie z.B. für viele Menschen die jährliche Flug-Reise in ferne Länder eine Art Routine geworden ist. Noch bis Anfang der 1980iger Jahre sind die wenigsten Bundesbürger in den Urlaub geflogen. Mit Zunahme der Gehälter und Möglichkeiten wurde der Konsum gesteigert und die Umwelt entsprechend mehr belastet. Vor dem Scherbenhaufen, den dieser Konsum anrichtete, stehen wir heute und wissen nicht recht, wie gemeinschaftlich das Ruder rum geworfen werden kann.
Hierzu meint Frank Trentmann: „Das Grundproblem ist, dass wir uns in einer liberalen Gesellschaft schwertun, Steuerungsmechanismen einzusetzen, die möglicherweise gut für das Allgemeinwohl sind, aber dem Einzelnen in die Quere kommen. Wir gehen davon aus, dass Konsum das eigene Ich und die eigene Identität erweitert.“
Insbesondere die seit Jahrzehnten eingehämmerten Werbeversprechen tragen ihren Teil dazu bei, Konsumenten bei Laune zu halten, indem ihnen Glück versprochen wird, würden sie nur dieses und jenes haben. Das hat Folgen.
„Die Vorstellung von der Machbarkeit des Glücks ist weit verbreitet. Man glaubt, wenn man die Musts der aktuellen Modetrends besitzt, dann müsse auch bald das Glück einkehren. Mit der Machbarkeit des Glücks arbeitet die gesamte Werbung. Sie vermittelt uns die Vorstellung, daß Glückserscheinen an bestimmte Bedingungen gebunden ist und bestimmte Rituale eingehalten werden müssen. Das ist ein Erbe der Religion. Das ist das klassische Vorgehen der Magie.
Die Einhaltung bestimmter Bedingungen und mit Produkten verbundene Rituale vermitteln uns die Vorstellung, alles sei kontrollierbar, auch die Erzeugung von Glück. Magie hat etwas mit Allmachtsgefühlen zu tun. Sie sind eine Illusion. Sie machen uns unfrei. Der Mensch sollte so sein, daß er ohne die Hilfen magischer Stützen sein Leben führen kann.“ sagte Mario Erdheim, Schweizer Ethnologe und Psychoanalytiker schon Ende der 70iger Jahre in einem Interview.
Besitz, Glück, Freiheit – das verbinden viele Menschen unbewußt mit Konsum, mit Erhalt ihres Lebenssstandards durch vielfältige Konsumöglichkeiten. Immer noch gilt das kindliche Credo des unersättlichen „ich will Freiheit haben von …“, ohne zu wissen, daß es auch ein erwachsenes und zufriedenes „Freiheit zu …“ gibt. Besitzgier, die intensiv kultiviert wird in der kapitalistischen Konsumgesellschaft seit c.a. 60 Jahren (in Deutschland) bis über 100 Jahre (in USA), führt zwangsläufig auch heute noch zur Ausbeutung derer, die sich nicht wehren können, die von keiner Lobby unterstützt werden, die keine Rechte haben oder sie ihnen mit Gewalt vorenthalten werden. Es gibt schon jetzt auf der Welt jede Menge Verlierer – Menschen und Tiere – durch unseren Konsum und Wohlstand.
„Seit wann lässt denn unser Land zu, daß Freiheit soweit geht, anderen zu schaden? Seit wann geben wir dem einen Leid den Vorzug gegenüber einem anderen?“
(Zitat aus der Rede von Najat Vallaud-Belkacem am 29.11.2013 im französischen Parlament Quelle: EMMA
Frank Trentmann könnte sich „durchaus vorstellen, dass wir mit vereinten Kräften auch heute unser Konsumverhalten radikal ändern können, auch im Sinne der Nachhaltigkeit. Aber dazu braucht es mehr, als nur auf den einzelnen Verbraucher und seinen Lebensstil zu schauen. Das muss wirklich eine verzahnte staatliche und gesellschaftliche Kooperation sein.“ … „Die meisten Interventionen in der Vergangenheit sind nicht das Resultat von Konsens gewesen. Man muss sich nur damit abfinden, dass das zwar ein gesellschaftlicher Prozess ist, es aber Gewinner und Verlierer geben wird. Eindeutig. Aber schauen wir uns die Klimakrise an – da gibt es doch schon irrsinnig viele Verlierer.“.
Viele von uns merken schon länger und immer drängender, dass es einen Reformstau gibt, der immer größer wird und enorm angewachsen ist. Und mit der fast unüberschaubaren Menge wächst bei vielen auch die Ohnmacht, hier noch wirksam etwas abwenden zu können.
Das Engagement jedes einzelnen ist wichtig – und doch wird es nicht allein reichen.
Ohne passende politische Weichenstellungen und Rahmenbedingungen von Politikern, die mutig sind und nicht nur die nächste Wahl im Blick haben, wird es nicht gehen.
Ohne Aufklärung, die nicht polarisiert sondern mitnimmt, wird es nicht gehen, damit eben diese mutigen Politiker sich verstanden wissen und legitimiert in ihrem Handeln.
Wir werden Konsum neu erfinden müssen. Eine Art von Konsum, die nicht nur den einzelnen Konsumenten befriedigt, sondern auch dem Allgemeinwohl dient. Einen Konsum ohne egoistische Glücksversprechen, sondern mit direkter Befriedigung im Wissen, Sinnvolles damit erreicht zu haben. Wo es nicht mehr darum geht, etwas zu haben, sondern zu teilen, und um neue Rituale gemeinsamen Handelns.
Wie das gehen kann, weiß niemand, da es noch nie zuvor so war wie heute.
Vieleicht ist das die größte Herausforderung an eine Gesellschaft: Neues auszuprobieren und sich mutig einzulassen.
Wie mir scheint, stehen wir vor genau dieser Stufe.
Für weitere Informationen:
Frank Trentmann: Über die Psychologie des Luxus